15. Juni 2025
Foto: Mathieu Stern

Die Reichen sollten sich schämen, nicht die Armen!

Kurz vor der Wahl einer neuen Bundesregierung scheint es bei der Demontage eines noch halbwegs sozialen Gesellschaftssystems kein Halten mehr zu geben: Ob BSW, AfD, CDU oder FDP, beim „Treten nach unten“ sind sie nicht mehr unterscheidbar. So fordern CDU und FDP eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger*innen und verweisen auf Thüringen, wo ein von der AfD eingebrachter Antrag zur Arbeitspflicht für Asylbewerber*innen dazu führte, dass dieser von der CDU gleich noch um die Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger*innen erweitert wurde. Diese Debatte wurde schon lange politisch vorbereitet, nicht zuletzt durch den Streit um den neuen Bundeshaushalt bei dem die steigenden Ausgaben für Verteidigung eine Rolle spielen.

Milliarden für Rüstung und Milliardäre

Nun wird suggeriert, dass das Problem die Armen sind. Schaut man sich bestimmte Zahlen an, wird die derzeitige politische Erzählung, welche die Bürgergeldempfänger: innen zum Sündenbock der verfehlten Politik macht, geradezu grotesk.
So kostet Deutschland, nach einer Studie der EU, die Steuerhinterziehung jährlich 125 Milliarden, liegen die Ausgaben des Bundesministeriums für Verteidigung in 2024 bei 52 Milliarden, hinzukommend für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung nochmal 20 Milliarden,  für militärische Güter an die Ukraine rund 10 Milliarden und für die nächsten Jahre hat die Ampelregierung  gleich ein Sondervermögen für den „Verteidigungshaushalt“ von 100 Milliarden aufgelegt, begleitet von dem Apell Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden.[1]
Dagegen sehen die gerade mal 26, 4 Milliarden Gesamtausgaben für das Bürgergeld in Deutschland im Jahr 2024 vergleichsweise überschaubar aus.
Betrachtet man diese Summe zudem vor dem Hintergrund der Vermögensverteilung wird die gesamte Schieflage nochmals verdeutlicht, denn allein 5 Deutsche Familien besitzen das rund zehnfache, 250 Milliarden Euro. Das ist mehr als die Gesamtsumme über welche die ärmere Hälfte der Bevölkerung, weit über 40 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, verfügt.[2] 
Dabei stimmen die Bürger*innen schon seit langem deutlich mehrheitlich für eine gerechtere Vermögensverteilung. Demnach sind über 70 % der Bevölkerung dafür, dass Vermögen stärker besteuert werden sollen. [3]
Offensichtlich regiert die Politik gegen die Interessen der Bevölkerung und manipuliert noch dahingehend, dass die Last der Armut noch mit Scham und weiterer Ausgrenzung belastet wird.

Die Kundenstatistik des Jobcenters 

Schaut man nun in Hamburg genauer auf die potentiell Erwerbsfähigen, so zeigt sich schnell, wie fehlgeleitet die gesamte Debatte ist.
Nach dem Geschäftsbericht von 2023 des t.a.h. Jobcenter Hamburg[4] erhielten im Jahr 2023 durchschnittlich 196.431 Hamburger*innen, also 10,1% der Hamburger Bevölkerung (1,94 Mio.)   Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II).
Von diesen wurden durchschnittlich knapp 70 % rund 135.000, als erwerbsfähige Leistungsberechtigte eingestuft. Schaut man nun detaillierter auf die sogenannten Kundenmerkmale zeigten diese viele sogenannte „arbeitsmarktliche vermittlungshemmende Eigenschaften“ auf:

  • Dreiviertel haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, rund 15% keinen Schulabschluss
  • Einem Fünftel ist gem. §10SGBII aufgrund der Betreuung Angehöriger die Aufnahme einer Arbeit nicht zumutbar.
  • Ein Drittel (34,6%) aller ELB erzieht ein oder mehrere Kind(er).
  • Über 18% beziehen neben dem Erwerbseinkommen auch Leistungen der Grundsicherung (Ergänzende Leistungen), da die Einkommenshöhe den individuellen Bedarf nicht deckt.

Nur 4% , dass entspricht in etwa 5400 der Leistungsberechtigten, gelten als marktnah in Arbeit vermittelbar.[5]

Die Stigmatisierung und Armutsdiskriminierung als Regierungsprogramm

Noch nicht mal als Kanzler gewählt verkündet nun Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, in seinem „Regierungsprogramm für die ersten 100 Tage“:
„Das System des sogenannten Bürgergeldes wollen wir vom Kopf auf die Füße stellen. Die Vorarbeiten, etwa für schärfere Sanktionen, sind im Arbeitsministerium ja schon gemacht.“[6]
Nach der CDU / CSU wird das Bürgergeld abgeschafft und durch eine „Neue Grundsicherung“ ersetzt. Demnach wird der Vermittlungsvorrang eingeführt, wenn jemand „nicht bereit ist Arbeit anzunehmen“ muss der Staat davon ausgehen, dass er nicht bedürftig ist. Das soll zur kompletten Streichung der Grundsicherung führen.
Das wird als erster Punkt seiner Sparvorhaben genannt. Schaut man sich die Zahlen an, entpuppt es sich als reine „Schaufensterpolitik“.
Nach der gängigen Rechtsprechung sind Leistungskürzungen von über 30% des Bürgergeldes nicht zulässig, die von der CDU geplanten 100% Sanktionen sogar Verfassungswidrig.
Davon abgesehen ist die Zahl der Sanktionierungen aufgrund der Ablehnung einer Arbeit verschwindend. Auf rund 4 Millionen Bürgergeldempfänger:innen bundesweit kamen im letzten Jahr  16.000 zeitweilige Sanktionen aufgrund von nicht Annahme einer Arbeit, dass sind nur rund 0,4 % aller Bürgergeldempfänger:innen. Umgerechnet auf die 26 Millionen jährlich für Bürgergeldempfänger:innen, werden damit wohl nicht einmal 100 Millionen eingespart. 

Vor dieser Faktenlage entlarvt sich das Vorhaben von Merz als schlichte Suche nach „Sündenböcken“, denn als wirkliche politischen Lösung. Mit der Bereitschaft des Black Rock Millionärs Merz gegen die Schwächsten nach unten zu treten, wird eine geradezu beängstigend kaltherzige Haltung sichtbar, welche für die Zukunft nichts Gutes verheißt.
Anstatt sich mühsam den Milliarden der Steuerhinterziehung zuzuwenden, die all unsere finanziellen Probleme lösen könnten; ist es immer am Einfachsten den Ärmsten „das Fell über die Ohren“ zu ziehen.

Reichtum besteuern und Friedenstüchtig statt Kriegsfähig werden

Die steigende Arbeitslosigkeit in Folge von konjunktureller Schwäche, kriegsbedingten Steigerungen der Energiepreise und Lebenshaltungskosten und Transformationsproblemen und strukturellen Problemen ist kein Versagen des Einzelnen.[7] Und schon gar nicht auf die Faulheit der Menschen zurückzuführen, wie gerade die Lobby der Wirtschaft und die wirtschaftsnahen Parteien propagieren. Und wie gehen eben genau jene populistischen Parteien mit der schwierigen Arbeitsmarktlage um – Sie wollen das Bürgergeld kürzen und streichen.[8] All das in einem so reichen Land wie Deutschland, wo die Superreichen, so die Milliardäre und Einkommens- Millionäre im Jahr 2024 noch reicher geworden sind. Die Konzerne haben von den Krisen der letzten Jahre profitiert; Sie haben ihre Gewinne 2021 und 2022 um 89% gesteigert. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine ist die Aktie von Rheinmetall um 611% gestiegen.[9]
Ein perverser Profit für alle, die auf Krieg, Tod und Zerstörung setzen. Der Verteidigungshaushalt wurde auf 100 Milliarden angehoben, was fast einem Drittel aller Staatsausgaben entspricht, während alle anderen Etats Streichungen hinnehmen mussten. Und erste Stimmen- darunter auch Habeck von den Grünen, fordern weitere deutliche Steigerungen.
Was wäre alles mit dem Geld möglich: Gute Versorgung in den Krankenhäusern , große soziale Wohnungsbauprogramme, Förderung und Bildung aller Kinder, ausfinanzierte Pflege und Krankenversicherungen, Gerechte Renten. Es gibt Vieles was dringlich gebraucht wird. Nur Kriege braucht niemand außer denen die gut daran verdienen.
Und darum fordern wir auch den Einsatz für diplomatische Initiativen und eine gerechte Umverteilung, damit niemand arm sein muss, nur damit die Superreichen ihre Milliarden scheffeln können. Eine Vermögenssteuer, wie 12% pro Jahr ab einer Milliarde, und höhere Einkommenssteuersätze, können zu einer nachhaltigen Veränderung der Vermögensverteilung in diesem Land und auch in Hamburg führen. Statt immer auf die Schwächsten und Ärmsten zu treten, die aufgrund jahrelanger Stigmatisierung in Echt und im politischen Diskurs gezwungen werden, sich zu schämen, sollten sich doch eigentlich die Superreichen schämen. Niemand braucht Milliarden. Die Menschen, die unverhältnismäßig verdienen und besitzen, die nicht abgeben, sondern das Leid und die prekäre Situation anderer gekonnt ignorieren und daraus auch noch Profit schöpfen, diese Menschen – die Milliardäre und Millionäre sollten sich schämen.


[1] Bundesministerium für Verteidigung

[2] Prof.Dr. Butterwegge, „Reichtum rückverteilen“, Artikel taz, 23.05.2024

[3] Einstellungen zur Vermögensteuer in Deutschland, Studie des WSI, 5/2018

[5]  Geschäftsbericht 2023 Jobcenter team.arbeit.hamburg

[6] „Ambitioniert, aber machbar“ – Merz präsentiert Agenda für die ersten 100 Tage als Kanzler

[7] Konjunktur und Transformation: die kritische Gemengelage am Arbeitsmarkt – IAB-Forum

[8] Bürgergeld: Vom Bonbon der sozialen Kälte – Ausgabe 719

[9] Rheinmetall-Aktie +611 % seit Kriegsausbruch – aber nicht teuer